Gesetz zur Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts bei dienstlichen Beurteilungen in der Justiz
Ausgestaltung einer Beurteilungs- und Erprobungsverordnung
Sehr geehrter Herr Holtgrewe,
sehr geehrter Herr Dr. Baumanns,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Verwaltungsrichtervereinigung bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Durch das Gesetz zur Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts bei dienstlichen Beurteilungen in der Justiz und durch die darin vorgesehene Pflicht zum Erlass einer Beurteilungs- und Erprobungsverordnung ist die Diskussion über eine Reform des Beurteilungssystems neu angestoßen worden.
Die Verwaltungsrichtervereinigung hat, wie Ihnen bekannt ist, an dem Gesetz und dem Verfahren Kritik geübt. Insoweit erlauben wir uns, nochmals auf die Stellungnahme der Verwaltungsrichtervereinigung gegenüber dem Landtag vom 22. März 2022 zu verweisen.
Trotz der geäußerten Kritik bieten das Gesetz und der Erlass einer Beurteilungs- und Erprobungsverordnung zugleich Anlass und Gelegenheit, Verbesserungen im bestehenden System der Beurteilung und Erprobung zu diskutieren. In dieser Diskussion beziehen wir wie folgt Stellung:
I. Wesentliche Ziele der Beurteilungs- und Erprobungsregelungen
Die Verwaltungsrichtervereinigung steht einer behutsamen Reform des derzeitigen Beurteilungs- und Erprobungssystems aufgeschlossen gegenüber. Dabei sollten die Belange der beurteilten Richterinnen und Richter noch stärker als bislang berücksichtigt werden. Folgende Ziele sollten im Mittelpunkt stehen:
- Transparenz: Die Beurteilung und das Verfahren müssen für die beurteilten Richterinnen und Richter so transparent und verständlich wie möglich gestaltet sein. Die Richterinnen und Richter sollen ihrer Beurteilung auch ohne spezielle Beurteilungskenntnisse klar entnehmen können, „woran sie sind“ bzw. „wo sie stehen“.
- Wertschätzung: Die Beurteilung ist zwar nicht vorrangig ein Mittel der Wertschätzung, sondern das entscheidende Instrument der Personalsteuerung und Personalentwicklung (BVerwG, Urt. v. 09.09.2021, 2 A 3/20, juris Rn. 14). Gleichwohl sollte nicht auf die Möglichkeit verzichtet werden, mit der Beurteilung auch Wertschätzung auszudrücken. Dies kann durch einen textlichen Beitrag besser zum Ausdruck gebracht werden als durch eine reine Punktebewertung. Unabhängig von dem jeweils gewählten Beurteilungssystem sollte daher in jedem Fall die Möglichkeit verbleiben, Leistung, Befähigung und Eignung (ergänzend) auch durch einen substanziellen und individuellen textlichen Beitrag zu erfassen.
- Kommunikation: Durch das Beurteilungssystem sollte die direkte – mündliche – Kommunikation zwischen den Beurteilenden und den beurteilten Richterinnen und Richtern weiter gestärkt werden. Das Beurteilungssystem sollte daher noch stärker als bislang Möglichkeiten vorsehen, dass Beurteilungen frühzeitig, direkt, offen und im mündlichen Gespräch mit den beurteilten Richterinnen und Richtern besprochen und erläutert werden.
- Keine Nachteile bei Elternzeit und Beurlaubung aus familiären Gründen: Es ist weiter sicherzustellen, dass Elternzeit oder Beurlaubung aus familiären Gründen nicht zu Nachteilen bei der Beurteilung führen. Daher sollte insbesondere die Nachzeichnungspflicht (derzeit § 9 i. V. m. § 51 LVO) ausdrücklich in eine Beurteilungsverordnung aufgenommen werden.
- Akzeptanz und Mitbestimmung: Ein Beurteilungssystem muss in der Richterschaft breite Akzeptanz besitzen. Diese Akzeptanz wird auch durch die Mitbestimmung der Richtervertretungen hergestellt (§ 41 Abs. 1 Nr. 12 LRiStaG). Daher sollten – in dem durch die Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen – substanzielle Teile der Beurteilung weiter in einer Beurteilungsrichtlinie bzw. Erprobungsrichtlinie geregelt werden, die der Mitbestimmung unterliegt.
Keine entscheidende bzw. ausschlaggebende Rolle sollten dagegen Überlegungen der Effizienz spielen. Da die Beurteilung maßgeblichen Einfluss auf die Personalentwicklung und das Fortkommen der Kolleginnen und Kollegen hat und die Zahl der Richterinnen und Richter im Vergleich zu anderen Bereichen der Verwaltung noch verhältnismäßig gering ist, sollte das bestmögliche und nicht das effizienteste Beurteilungssystem gewählt werden. Auf dieser Grundlage spricht sich die Verwaltungsrichtervereinigung für eine moderate Überarbeitung des bestehenden Systems aus. Wie zu betonen ist, sind die Vorschläge für eine Änderung des Beurteilungssystems ausdrücklich nicht als Kritik an den beurteilenden Personen, also den Behördenleitungen zu verstehen. Es entspricht unserer Wahrnehmung, dass in der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen in eine faire Behandlung bei der Beurteilung hoch ist. Gegenstand der Diskussion sind vielmehr strukturelle Änderungen, mit denen Transparenz, Akzeptanz und Vergleichbarkeit von Beurteilungen noch weiter verbessert werden sollen. Hierzu im Einzelnen:
II. Beurteilungen (Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie)
- Einführung eines Punktesystems mit einem substanziellen Textbeitrag
Die Verwaltungsrichtervereinigung steht einem „Punktesystem“, bei dem das Gesamturteil wie auch die einzelnen Merkmale der Leistung, Befähigung und Eignung (auch) durch Vergabe einer Punktezahl bewertet werden, grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. In jedem Fall sollte eine solche Beurteilung aber durch einen substanziellen, nicht nur formelhaften Textbeitrag ergänzt werden. Eine reine Punktebewertung wird abgelehnt. Das bestehende System der rein textlichen Beurteilungen hat den Vorteil, dass damit in besonderer Weise Wertschätzung ausgedrückt werden kann. Die textliche Beurteilung hat für die Richterinnen und Richter aber auch gravierende Nachteile: Selbst die beurteilungserfahrenen Kolleginnen und Kollegen können einer textlichen Beurteilung nicht oder nur schwer entnehmen, „woran sie wirklich sind“, wo also besondere und wo weniger ausgeprägte Stärken gesehen werden. Weniger positive Beurteilungen einzelner Aspekte werden vielfach gar nicht, nur durch Auslassungen oder durch vage Umschreibungen zum Ausdruck gebracht. Hinzu kommt, dass ein Vergleich der textlichen Beurteilungen bei der Auswahl zwischen mehreren Bewerbern sehr viel schwerer fällt als in einem Punktesystem. Die vielfach als „Ausschärfung“ bezeichnete Auswertung der Einzelfeststellungen dienstlicher Beurteilungen im Rahmen einer Auswahlentscheidung stößt hier – namentlich, wenn die Beurteilungen von unterschiedlichen Beurteilenden erstellt worden sind – schnell an Grenzen. Aber auch außerhalb oder unabhängig von einer konkreten Bewerbungs- oder Auswahlsituation können die Kolleginnen und Kollegen ihren textlichen Beurteilungen letztlich nicht klar entnehmen, wo sie im Vergleich mit anderen Kolleginnen und Kollegen stehen. Ein Punktesystem könnte daher – im Interesse der beurteilten Richterinnen und Richter – zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit bei einer Bewerberauswahl führen. Allerdings besteht in der Richterschaft auch die Sorge, dass ein Punktesystem zu stark schematisierten Beurteilungen „am Fließband“ einladen könnte, die der Person nicht gerecht werden und zu einem Verlust an Wertschätzung führen. Daher sollten die Beurteilungen für Richterinnen und Richter weiterhin einen substanziellen und individuellen textlichen Beitrag enthalten, in dem besondere Leistungen oder Befähigungen nochmals hervorgehoben oder akzentuiert und zugleich Wertschätzung in individueller Weise ausgedrückt werden können.
- Klare Unterteilung der Beurteilungen nach fachlicher Leistung, Befähigung und Eignung
Es dürfte vorzugswürdig sein, Beurteilungen – anders als bislang – klar anhand der Merkmale der fachlichen Leistung, Befähigung und Eignung zu strukturieren. Eine solche Struktur könnte oder sollte durch eine Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie einheitlich vorgegeben werden. Um Transparenz und Vergleichbarkeit so gut wie möglich zu gewährleisten, dürfte es vorzugswürdig sein, die zu beurteilenden Merkmale der Leistung, Befähigung und Eignung jeweils getrennt aufzuführen und in der Gesamtbeurteilung zusammenzuführen. Zwar bestehen – wie in der Diskussion mehrfach hervorgehoben worden ist – zwischen den drei Merkmalen Überschneidungen. So zeigt sich die Befähigung in der erbrachten Leistung und umgekehrt. Trotz dieser teilweisen Überschneidungen dürfte eine Unterteilung anhand der drei Merkmale transparenter und verständlicher sein und besser sicherstellen, dass die gesetzlichen Merkmale mit all ihren Aspekten durch die Beurteilung abgedeckt werden. Die bislang verwendete Unterteilung in vier Hauptmerkmale bzw. „Kompetenzen“ (vgl. Ziffer V. 1 Beurteilungs-AV) begegnet dagegen Bedenken:
- Es fehlt insoweit eine klare Ausrichtung an der verfassungsrechtlich vorgegebenen Einteilung in Eignung, Befähigung und Leistung. Dies erschwert eine rechtliche Prüfung im Streitfall.
- Die Bezeichnung als „Kompetenzen“ vermittelt den Eindruck, dass es sich alleine um Merkmale der Befähigung Dies wird auch dadurch verstärkt, dass bei den Beamtenbeurteilungen die nahezu identischen Begriffe (dort Fachkompetenz, soziale Kompetenz, persönliche Kompetenz und Führungskompetenz) in der Tat alleine als Kriterien der Befähigung eingeordnet werden (vgl. Anlage 1 zur Beurteilungs-AV der Beamtinnen und Beamten).
- Auch unabhängig von der Frage der Bezeichnung kommt hinzu, dass das für die Beurteilung zentrale Merkmal der fachlichen Leistung (vgl. zur Gewichtung unten, unter III. 4) in den vier Kompetenzmerkmalen und den hierzu hinterlegten Anforderungsprofilen (vgl. Anlage zur Beurteilungs-AV) nur teilweise abgebildet wird. So werden in den Anforderungsprofilen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit überwiegend Fähigkeiten und Eigenschaften aufgeführt, in denen Arbeitserfolg, Arbeitsqualität und Arbeitseinsatz immer nur indirekt zum Ausdruck kommen. Damit wird nicht bestritten, dass im bestehenden Beurteilungssystem die fachliche Leistung der Sache nach berücksichtigt wird. Die derzeitige Einteilung nach den Hauptmerkmalen erschwert jedoch ihre systematische und klar erkennbare Erfassung.
- Vorgabe weiterer, konkreter Unterkategorien
Für die Merkmale der Leistung, Befähigung und ggf. auch der Eignung sollten klare Unterkategorien vorgegeben werden. Diesen Unterkategorien sollten möglichst konkrete und „subsumtionsfähige“ Merkmale zugewiesen werden. Die Vorgaben sollten dabei soweit möglich einheitlich sein. Ein gerechtes, transparentes und vergleichsgeeignetes Beurteilungssystem sollte möglichst klar und konkret bestimmen, welche einzelnen Elemente bzw. Aspekte der Leistung, Befähigung und Eignung zu bewerten und welche konkreten Merkmale dabei maßgeblich zu berücksichtigen sind. Den Merkmalen von Leistung, Befähigung und Eignung sollten daher einheitliche Unterkategorien zugeordnet werden. Diese Unterkategorien sollten ihrerseits mit möglichst konkreten und knapp formulierten Kriterien unterlegt werden. Nur so ist sicher zu stellen, dass die Beurteilenden bei jeder Unterkategorie die gleichen Merkmale beurteilen. Dabei könnte etwa wie folgt verfahren werden: Soweit wie hier befürwortet eine klare Unterteilung in Leistung, Befähigung und Eignung vorgenommen wird, könnte sich die Beurteilung der fachlichen Leistung im Ausgangspunkt an der Einteilung für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten orientieren (vgl. Anlage 1 zur Beurteilungs-AV der Beamtinnen und Beamten). Danach wären ausdrückliche Leistungskriterien wie Arbeitsweise, Arbeitseinsatz, Arbeitserfolg und ggf. auch Arbeitsgüte oder Arbeitsorganisation mit einzubeziehen. Besonderheiten der richterlichen Tätigkeit sollten berücksichtigt werden. Insoweit wären – abweichend von den dienstlichen Beurteilungen der Beamtinnen und Beamten – besonders auf die richterliche Tätigkeit zugeschnittene Kriterien zu formulieren (z. B. „Genauigkeit der rechtlichen Subsumtion“, „klare und zielstrebige Verhandlungsführung“). Hinsichtlich der Befähigung könnte die schon bekannte und grundsätzlich bewährte Unterteilung in die Hauptkategorien Fachkompetenz, soziale Kompetenz, persönliche Kompetenz und Führungskompetenz verwendet werden. Die Kompetenzen sollten allerdings als reine Befähigungsmerkmale verstanden werden. Zur weiteren Konkretisierung könnte im Ausgangspunkt auf die schon eingeübten Anforderungsprofile zurückgegriffen werden, mit denen jedenfalls auch Merkmale der Befähigung konkretisiert werden. In den Anforderungsprofilen bislang enthaltene Leistungskriterien (z. B. „gewährt angemessen zügigen Rechtsschutz“) wären dagegen gesondert bei der fachlichen Leistung zu hinterlegen. Schließlich dürfte nach der neueren Rechtsprechung in der Beurteilung – auch in der Regelbeurteilung – anders als bislang die Eignung im engeren Sinne (d. h. die Eignung als allgemeine charakterliche oder gesundheitliche Eignung) zu bewerten sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.07.2021, 2 C 2/21, juris Rn. 45). Ob sich hier weitere Unterkriterien ausdifferenzieren lassen, erscheint jedenfalls fraglich. Für die Behandlung der Eignungsbeurteilung (im engeren wie im weiteren Sinn) dürfte1die weitere Entwicklung und Klarstellung in der Rechtsprechung zu beobachten sein. Um Transparenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sollten sowohl die Unterkriterien wie auch die weiter konkretisierenden, „subsumtionsfähigen“ Merkmale in einer Beurteilungsverordnung oder Beurteilungsrichtlinie möglichst einheitlich vorgegeben werden (ggf. auch durch einen Vordruck für die dienstliche Beurteilung). Gesondert definiert werden könnte dabei, welche zusätzlichen oder besonderen Leistungen und Befähigungen für die Beförderungsämter erforderlich sind. Ob und in welchem Umfang daneben noch die bislang verwendeten Anforderungsprofile benötigt werden (vgl. dazu unten, unter II. 11), sollte im weiteren Fortgang diskutiert werden. Darüber hinaus sollte die Übernahme zusätzlicher, nicht unmittelbar rechtsprechungsbezogener Tätigkeiten, die für eine funktionierende Rechtspflege essentiell sind, im Rahmen des rechtlich Zulässigen stärker als bislang berücksichtigt werden. Hierzu gehören insbesondere:
- Tätigkeiten in Richtervertretungen und vergleichbarer Einsatz (Berücksichtigung jedenfalls als Ausdruck besonderer Einsatzbereitschaft oder Wertschätzung in der Kollegenschaft);
- Abordnungen zum ITD NRW oder sonstige Unterstützung der IT-Dienste;
- Ausbildung der Referendarinnen und Referendare.
Verzichtet werden sollte dagegen künftig auf sehr allgemeine Kriterien, die allenfalls mittelbaren dienstlichen Bezug besitzen und sich regelmäßig einer zuverlässigen Bewertung durch den Beurteilenden entziehen. Bislang verwendete Kriterien wie „verfügt über eine gute Allgemeinbildung“ oder „ist – über das Berufsbild hinaus – vielseitig interessiert“ sollten daher überdacht werden. Hinsichtlich der im Einzelnen zu berücksichtigenden Kriterien der Leistung, Befähigung und Eignung steht die Verwaltungsrichtervereinigung für einen weiteren Austausch zur Verfügung.
- Gewichtung der Einzelmerkmale
Für die Bildung eines Gesamturteils sollte die Gewichtung der einzelnen Merkmale und Unterkriterien vorgegeben werden. Zu einer einheitlichen, fairen und transparenten Beurteilung der Richterinnen und Richter dürfte auch gehören, dass die Gewichtung der einzelnen Merkmale bzw. Unterkriterien bei der Bildung des Gesamturteils vorgegeben ist. Dies gilt in besonderem Maße, wenn ein Punktesystem zugrunde gelegt wird (dazu BVerwG, Urt. v. 01.03.2018, 2 A 10/17, juris Rn. 44 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.09.2015, 2 C 27/14, juris Rn. 32). Durch die Vorgabe wird vermieden, dass einzelne Merkmale durch die Beurteilenden unterschiedlich stark gewichtet werden und damit letztlich die Vergleichbarkeit nicht mehr gewährleistet ist. Zu Verzerrungen kann es insbesondere kommen, wenn die einzelnen Unterkategorien schematisch gleich gewichtet werden, obwohl bestimmten Unterkriterien deutlich mehr Gewicht zukommt. Um eine faire und einheitliche Beurteilung bestmöglich zu gewährleisten, sollte daher für jede Unterkategorie, für die eine Punktzahl vergeben wird, zugleich die Gewichtung vorgegeben werden. Bei einer Gewichtung dürfte zudem zu berücksichtigen sein, dass die Merkmale des Arbeitseinsatzes, des Arbeitserfolgs bzw. der Arbeitsgüte besonderes Gewicht haben dürften. Es wird daher angeregt, dass die fachliche Leistung mindestens mit einem Anteil von 50 Prozent in die Gesamtbeurteilung einfließt.
- Bestimmung des Punktespektrums
Ein etwaiges Punktesystem sollte Differenzierungen erleichtern und eine Notenverdichtung im oberen Bereich erschweren. Hierfür dürfte eine hinreichend breitgefächerte Skala, etwa von 1 bis 18 Punkten erforderlich sein. Diese sollte für die fachliche Leistung wie auch für die Befähigung gelten. Die Unterscheidung von Punkten und Ausprägungsgraden mit anschließender Umrechnung erscheint dagegen nicht angezeigt. Soweit ein Punktesystem eingeführt wird, sollte das Punktespektrum so gewählt werden, dass damit eine Notenverdichtung erschwert und eine Differenzierung möglich bleibt. Hierfür dürfte sich die bereits in anderen Bereichen übliche Skala von 1 bis 18 Punkten (bzw. 0 bis 18 Punkten) anbieten. Da damit zu rechnen ist, dass diese Notenskala in der Praxis nicht ausgeschöpft wird, weil die unteren Notenstufen angesichts der hohen Qualifikation der Richterinnen und Richter regelmäßig nicht belegt werden, bliebe gleichwohl noch ein ausreichendes Punktespektrum. Das Punktespektrum sollte sowohl für die fachliche Leistung wie auch die Befähigung gleichermaßen gelten. Die Unterscheidung von Punkten (Leistung) und Ausprägungsgraden (Befähigung) erscheint weder praktikabel noch verständlich, da die Ausprägungsgrade für die Gesamtbeurteilung letztlich wieder in Punkte umzurechnen sind. Trotz gewisser Unterschiede dürfte daher die Verwendung eines einheitlichen Notenspektrums für beide Bereiche vorzugswürdig sein. Dies gilt umso mehr, als im bestehenden System der Hauptmerkmale (Ziffer V. 1 Beurteilungs-AV) bislang überhaupt nicht zwischen Leistung und Befähigung unterschieden wird. Soweit auch in der Regelbeurteilung eine Aussage über die Eignung im engeren Sinne (d. h. gesundheitliche und charakterliche Eignung) getroffen werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.07.2021, 2 C 2/21, juris Rn. 45), dürfte sich eine Vergabe von Punkten nicht anbieten. Insoweit dürfte die Feststellung ausreichen, dass die Eignung gegeben ist. Vor allem mit Blick auf Anlassbeurteilungen dürfte in der Rechtsprechung noch klärungsbedürftig sein, ob eine getrennte Beurteilung der Eignung im weiteren Sinne (also der prognostischen Eignung für das angestrebte Statusamt, ggf. in verschiedenen Verwendungen) weiter zulässig ist (vgl. dazu zuletzt etwa VG Münster, Beschl. v. 12.04.2022, 5 L 8/22). Insoweit dürfte zunächst die obergerichtliche bzw. höchstrichterliche Klarstellung abzuwarten sein. Soweit in Anlassbeurteilungen die Eignung für das angestrebte Statusamt weiter getrennt ausgewiesen werden kann, dürfte es sachgerecht sein, hierfür einzelne Eignungsgrade und nicht ein Punktespektrum von 1 bis 18 Punkten zu verwenden.
- „Absenkung“ bzw. Absinken nach Beförderung (sogenannte „Welle“)
Zur Vermeidung einer Notenverdichtung im oberen Bereich erscheint das regelmäßige Absinken einer dienstlichen Beurteilung sachgerecht. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist in besonderem Maß eine Notenverdichtung im oberen Notensegment, insbesondere in den Besoldungsgruppen R 2 und R 3 zu beobachten. Damit wird der Wert von Beurteilungen als Instrument der Personalentwicklung stark gemindert. Um dem entgegen zu wirken, erscheint das regelmäßige Absinken der Beurteilung nach einer Beförderung sachgerecht. Sie ist Ausdruck der Statusamtsbezogenheit dienstlicher Beurteilungen. Hierbei geht es nicht um eine Absenkung der Bewertung (im Sinne einer aktiven „Herabsetzung“). Das Absinken ist vielmehr Folge der Beurteilung an dem anderen, neuen Maßstab des Beförderungsamts. Dabei dürfte das Absinken um regelmäßig eine Notenstufe (bei einem Punktesystem von 1 bis 18 Punkte um 3 Punkte) angemessen sein. Akzeptabel und gerecht wäre eine solche Praxis allerdings nur dann, wenn diese von allen Beurteilenden praktiziert würde und hiervon nur in seltenen und besonders begründeten Ausnahmefällen abgewichen würde. Letzteres wäre durch allgemeine Vorgaben in einer Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie zu gewährleisten.
- Regelbeurteilung als Regel – Anlassbeurteilung als begründungsbedürftige Ausnahme
Das Verhältnis von Regel- und Anlassbeurteilung ist neu zu bestimmen. Grundlage einer Beförderungsentscheidung ist grundsätzlich die Regelbeurteilung. Die Vorgaben der Rechtsprechung sind in einer neuen Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie umzusetzen. Das Verhältnis von Regel- und Anlassbeurteilung ist grundsätzlich neu zu regeln. Die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Verhältnis von Regel- und Anlassbeurteilung im Beamtenrecht (vgl. dazu zuletzt auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 18.03.2022, 13 L 169/22) dürften auf die richterlichen Beurteilungen zu übertragen sein, da dort ebenfalls ein System der Regelbeurteilung vorgesehen ist (§ 14 Abs. 1 LRiStaG). Das Bundesverwaltungsgericht hat an der Praxis der Anlassbeurteilungen (aus Anlass der Bewerbung um ein Beförderungsamt) grundsätzliche Bedenken geäußert. Das Gericht hat dazu unter anderem ausgeführt (BVerwG, Beschl. v. 02.07.2020, 2 A 6/19, juris Rn. 11): „Demgegenüber begegnen Anlassbeurteilungen grundsätzlich Bedenken, weil sie gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt werden und damit der Verdacht entstehen kann, sie dienten – zielgerichtet – lediglich der Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen.“ (Hervorhebung nur hier) Diesen Bedenken, die auch aus Verbandssicht geteilt werden, sollte in einer neu zu erlassenden Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie Rechnung getragen werden. Anlassbeurteilungen sollten daher nur noch in den von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefällen (insbesondere: Regelbeurteilung liegt nicht vor; Ausübung anderer Aufgaben über einen erheblichen Zeitraum) erstellt werden.
- Pflicht zur fiktiven Nachzeichnung bei Elternzeit
Für die Kolleginnen und Kollegen sind Nachteile aufgrund von Elternzeit oder bei Beurlaubung aus familiären Gründen zu vermeiden. Die Nachzeichnungspflicht sollte zur Klarstellung in eine Beurteilungsverordnung aufgenommen werden. Schon jetzt sieht § 9 Abs. 1 i. V. m. § 51 Abs. 1 LVO eine fiktive Fortschreibung (Nachzeichnung) unter anderem bei Kolleginnen und Kollegen in Elternzeit oder bei Beurlaubung aus familiären Gründen vor. Die Nachzeichnung sollte zur Klarstellung direkt in eine Beurteilungsverordnung aufgenommen werden.
- Verfahren – Kommunikation von Beurteilungen
Die sinnvolle und gebotene Kommunikation der Beurteilung gegenüber den Richterinnen und Richtern sollte noch stärker rechtlich flankiert werden. Über die schon jetzt vorgesehene Anhörung (§ 14 Abs. 3 LRiStaG) hinaus sollte innerhalb des Regelbeurteilungszeitraums ein Anspruch auf ein frühzeitiges Beurteilungsgespräch eingeräumt werden. Um die Qualität und Akzeptanz von Beurteilungen zu erhöhen und um mehr Raum für Wertschätzung zu geben, sollte die Kommunikation der Beurteilung noch stärker als bislang rechtlich flankiert werden (gedacht als Gesprächsoption und nicht als Gesprächspflicht für die beurteilten Richterinnen und Richter).
- 14 Abs. 3 LRiStaG sieht bislang vor, dass den beurteilten Richterinnen und Richtern der Entwurf zur Kenntnis zu bringen und Gelegenheit zur mündlichen Erörterung zu geben ist. Hieran ist grundsätzlich festzuhalten. Allerdings besteht bislang kein Anspruch, während der (vierjährigen) Regelbeurteilungsperiode schon frühzeitig und noch vor Erstellung eines Beurteilungsentwurfs, der naturgemäß bereits eine gewisse Festlegung mit sich bringt, ein Beurteilungsgespräch zu führen. Die Beurteilungsverordnung bzw. Beurteilungsrichtlinie sollte daher vorsehen, dass den zu beurteilenden Richterinnen und Richtern mit ausreichender Frist (z. B. nach der Hälfte des Regelbeurteilungszeitraums, auf Wunsch auch später) die Möglichkeit gegeben wird, ein orientierendes Beurteilungsgespräch zu führen. Dies dürfte nicht zuletzt auch deshalb angezeigt sein, weil die Regelbeurteilung künftig mit der gebotenen Beschränkung von Anlassbeurteilungen (vgl. oben, unter II. 7) zusätzlich an Gewicht für die Personalentwicklung gewinnen dürfte.
Darüber hinaus sollte die Erörterungsmöglichkeit bei Überbeurteilungen nach § 14 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG erweitert werden. Derzeit besteht bei Abweichungen kein Anspruch auf ein Erörterungsgespräch, wenn die Abweichung ausschließlich der Herstellung eines einheitlichen Bewertungsmaßstabs dient. Da aber auch eine solche Abweichung (im Sinne einer Absenkung) bei den beurteilten Kolleginnen und Kollegen regelmäßig Fragen aufwerfen und durchaus „Frustrationspotenzial“ besitzen kann, sollte bei jeder Abweichung in der Überbeurteilung die Möglichkeit auf ein Erörterungsgespräch eingeräumt werden. In § 14 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG sollten daher die Wörter „oder eine Abweichung dient ausschließlich der Herstellung eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabes“ gestrichen werden.
- Akzeptanz des Beurteilungssystems: Weitestmöglicher Erhalt der Mitbestimmung
Die Mitbestimmung der Richtervertretungen sollte soweit wie möglich erhalten bleiben. Regelungen, die nicht dem Rechtssatzvorbehalt unterliegen, können daher weiter in einer Beurteilungsrichtlinie geregelt werden. Ein Beurteilungssystem muss in der Richterschaft breite Akzeptanz besitzen. Diese Akzeptanz wird insbesondere auch durch die Mitbestimmung der Richtervertretungen (§ 41 Abs. 1 Nr. 12 LRiStaG) hergestellt. Daher sollte – in dem durch die Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen (Rechtssatzvorbehalt) – erwogen werden, substanzielle Teile der Beurteilung weiter in einer Beurteilungsrichtlinie zu regeln.
- Anforderungsprofile
Die Verwaltungsrichtervereinigung ist grundsätzlich aufgeschlossen für eine stärkere (gerichtsübergreifende) Vereinheitlichung der Anforderungsprofile. Einzelheiten dürften allerdings erst sinnvoll erörtert werden können, wenn die wesentlichen Eckpunkte für ein Beurteilungssystem genauer abgesteckt sind (dazu oben, unter II. 1 bis II. 10). Unabhängig davon dürfte es – wie oben ausgeführt – angezeigt sein, die Kriterien der fachlichen Leistung stärker als bislang auszudifferenzieren und damit zugleich Kriterien der Leistung und Befähigung deutlicher zu unterscheiden (oben, unter II. 2 und II. 3). Da jedenfalls nach der bisherigen Konzeption der Beurteilungs-AV die Anforderungsprofile letztlich Merkmale der Leistung und Befähigung mit Bezug auf das (jeweils ausgeübte) Amt konkretisieren (vgl. Ziffer V. 1 Beurteilungs-AV), müsste sich dies auch in den Anforderungsprofilen widerspiegeln. Darüber hinaus könnten die allgemeinen Unterkriterien für Leistung, Befähigung und Eignung (im engeren Sinn) statt wie bislang in Anforderungsprofilen jeweils direkt in einer Beurteilungsverordnung oder ‑richtlinie bzw. in einen Vordruck für die dienstliche Beurteilung aufgenommen werden (vgl. insoweit etwa Anlage 1 zur Beurteilungs-AV der Beamtinnen und Beamten, die entsprechende Vorgaben aufführt). Die Anforderungsprofile würden, soweit sie überhaupt noch erforderlich sind, in diesem Fall nur die zusätzlichen Anforderungen der Beförderungsämter allgemein festlegen. Eine Übernahme der Systematik der Beurteilungs-AV der Beamtinnen und Beamten wäre grundsätzlich unabhängig von der Frage, welche inhaltlichen Kriterien im Einzelnen angelegt werden.
III. Erprobung (Erprobungsverordnung bzw. Erprobungsrichtlinie)
Die Erprobungsverordnung sollte im Kern darauf ausgerichtet sein, für die Kolleginnen und Kollegen möglichst klare Vorgaben zu enthalten. Hierbei sollten vor allem folgende Punkte geregelt werden:
- Klare Bestimmung der Erprobungsstellen
Die Erprobungsstellen sind so eindeutig wie möglich festzulegen. Wie bislang sollte für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch eine Erprobung an anderen obersten Bundes- und Landesbehörden zulässig sein. Da gerade in anderen obersten Landesbehörden zentrale Gesetze des Verwaltungsrechts (VwVfG NRW, VersG NRW, BauO NRW) federführend erarbeitet werden, dürfte eine Abordnung in diese Behörden sinnvoll, erprobungsgeeignet und für die Richterinnen und Richter gewinnbringend sein. Soweit eine Stelle als erprobungsgeeignet bestimmt wird, sollte – soweit die Verordnung oder eine Richtlinie nicht ausdrücklich Einschränkungen vorsieht – jeder Spruchköper bzw. jede Abteilung dieser Stelle als erprobungsgeeignet behandelt werden. Eine weitergehende Begrenzung durch die Behördenleitungen sollte dann nicht mehr möglich sein. Dies dürfte schon jetzt der Erlasslage entsprechen, sollte aber in einer neuen Verordnung klarstellend geregelt werden.
- Bezeichnung von Erprobung und Ersatzerprobung
Um den Eindruck einer unterschiedlichen Wertigkeit der „regulären“ Erprobung beim Oberverwaltungsgericht und der „Ersatzerprobung“ bei einer anderen Stelle zu vermeiden, sollte entweder einheitlich der Begriff der „Erprobung“ oder alternativ jedenfalls ein anderer Begriff als „Ersatzerprobung“ verwendet werden.
- Klare und einheitliche Bestimmung der Erprobungsreife
Die Erprobungsreife sollte möglichst klar und möglichst einheitlich bestimmt werden. Dabei dürfte es sich anbieten, die hierbei zu erreichende Bewertungs- bzw. Notenstufe durch die Erprobungsverordnung festzulegen. Darüber hinaus könnte erwogen werden, bestimmte Planrichterzeiten in der Eingangsinstanz vorzusehen.
IV. Weiteres Verfahren
Die Verwaltungsrichtervereinigung würde es ausdrücklich begrüßen, wenn die weitere Diskussion im engen Austausch mit den Verbänden geführt wird und etwaige Entwürfe einer Beurteilungs- und Erprobungsverordnung frühzeitig zur Kenntnis und Stellungnahme übersandt werden. Für weitere Gespräche und die Teilnahme an Arbeitsgruppen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Hollands Nadeschda Wilkitzki