Entwurf einer Verordnung über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz
Verbändeanhörung
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Verwaltungsrichtervereinigung NRW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Zu dem o.g. Verordnungsentwurf nehmen wir wie folgt Stellung:
1. Erwartungsmanagement
Zuzustimmen ist der hinter dem Verordnungsentwurf stehenden Zielsetzung, Asylverfahren vor dem Hintergrund der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zügiger zum Abschluss zu bringen. Die gerichtlichen Laufzeiten in Asylsachen sind auch für die Kolleginnen und Kollegen insbesondere mit Blick auf die weite Spreizung zwischen den Gerichten unbefriedigend, wenn sich auch schon eine Entwicklung in die richtige Richtung bemerkbar macht: Nach einem Höchststand der Verfahrenslaufzeiten in Asylsachen von 24,7 Monaten im Jahr 2021 sank der Wert auf 21,9 Monate im Jahr 2022 und auf 17,6 Monate im Jahr 2023. Da hier die erledigten Verfahren berücksichtigt werden, ist zu konstatieren, dass eine hohe durchschnittliche Zahl auch immer bedeutet, dass die älteren Verfahren zum Abschluss gebracht wurden, was zu begrüßen ist. Die Kolleginnen und Kollegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben in den letzten Jahren einen enormen Arbeitseinsatz erbracht, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Die Verordnung ist grundsätzlich geeignet, durch Erzielung von Synergieeffekten (z.B. Erforderlichkeit von Erkenntnismittellisten nicht an jedem Gericht für jedes Herkunftsland) mittelfristig eine gewisse Beschleunigung zu bewirken. Zu begrüßen ist weiter, dass sich die Konzentration auf die eingangsschwachen Herkunftsländer beschränkt. Eine weitergehende Konzentration ginge mit erheblichen Reibungsverlusten einher und führte aufgrund der hohen Fallzahlen nicht zu einer nennenswerten weiteren Spezialisierung.
Zur Erreichung eines spürbaren Beschleunigungseffekts ist aber eine (undifferenzierte) politisch festgelegte durchschnittliche Verfahrenslaufzeit von drei oder sechs Monaten, wie sie in dem Beschluss des Bundeskanzlers und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 6. November 2023 gefordert wird, nicht zielführend, wenn sie nicht von den richtigen Maßnahmen flankiert wird. Verlässliche Aussagen zu dem wohl einzig signifikant wirksamen Mittel – erhebliche Personalaufstockung – fehlen. Einer überhöhten Erwartungshaltung ist deshalb entschieden entgegen zu treten. Es liegt auf der Hand, dass (ca. ein Achtel = Anzahl der anstehenden wegfallenden Stellen) weniger Richterinnen und Richter nicht mehr Verfahren (steigende Eingangszahlen in Asylsachen) – und dann auch noch schneller – erledigen können. Jede etwaige Beschleunigung der Asylverfahren ginge ohne Personalaufstockung zudem zu Lasten der Verfahren in anderen Rechtsgebieten.
Die Notwendigkeit erheblicher Personalaufstockung ist in anderen Ländern erkannt worden und zeigt auch das immer wieder angestrengte Beispiel Rheinland-Pfalz. Die dortigen Verfahrenslaufzeiten dürften sich nicht im Wesentlichen auf die Konzentration gründen, sondern vielmehr auf die erhebliche Personalaufstockung, die nicht unmittelbar nach der Abnahme der Asyleingänge rückgängig gemacht wurde. Dies hat es ermöglicht, den in Hochzeiten der Asyleingänge kumulierten Bestand abzubauen. Davon kann für Nordrhein-Westfalen keine Rede sein. Der Anhang in Asylsachen zeigt eindrücklich, dass durchschnittliche Verfahrenslaufzeiten in dem politisch gesteckten Rahmen jedenfalls kurz- und mittelfristig nicht erreichbar sind. Während im Jahr 2015 vor der ersten Asylwelle rund 7.600 Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten anhängig waren, liegt die Zahl nach einem Höchststand von über 80.000 Verfahren im Jahr 2017 Ende des Jahres 2023 noch bei rund 17.900 Verfahren. Niedersachsen geht mit gutem Beispiel voran und hat 15 neue Stellen geschaffen. Auf Nordrhein-Westfalen übertragen bedeutete dies eine Schaffung von ca. 35 Stellen.
Ohne Streichung oder zumindest langfristige Prolongation der in den kommenden Jahren anstehenden kw-Vermerke im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich sowie eine erhebliche Personalaufstockung sind die vom Bundeskanzler und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. November 2023 gesteckten Ziele nicht zu erreichen.
2. Verwaltungsgerichte im System des Asylrechts
Es muss der Eindruck vermieden werden, dass den Verwaltungsgerichten die alleinige Verantwortung für die zügige Durchführung von Asylverfahren zukommt. Die politische und öffentliche Diskussion lässt an vielerlei Stelle eine hinreichende Differenzierung vermissen. Die Verwaltungsgerichte sind eingebettet in ein System, das verschiedene Verantwortlichkeiten zuweist. An erster Stelle entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über die Asylanträge der Antragsteller. Die Bescheide des Bundesamtes sind dann Gegenstand gerichtlicher Kontrolle. Der von den Verwaltungsgerichten zu leistende Arbeitsaufwand wird von der Qualität der behördlichen Entscheidung maßgeblich mit beeinflusst. Nach Entscheidung der Kolleginnen und Kollegen in den Verwaltungsgerichten erfolgt die Vollstreckung bei für den Asylbewerber negativem Ausgang im Wege der Abschiebung durch die Ausländerbehörden. So ist beispielweise in Fällen, in denen ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (insbesondere bei sicheren Herkunftsstaaten) und ein Eilantrag vom Verwaltungsgericht – üblicherweise innerhalb kürzester Zeit – abgelehnt wurde, eine Abschiebung möglich, ohne dass es eines Urteils im Hauptsacheverfahren bedürfte. In Fällen, in denen – insbesondere bei Ländern mit hohen Schutzquoten – bereits eine Teilanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt ist, findet eine Abschiebung ohnehin nicht statt, so dass auch ein beschleunigtes verwaltungsgerichtliches Verfahren nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führte. In allen Fällen gilt: Die verwaltungsgerichtliche Abweisung eines asylrechtlichen Klagebegehrens führt nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, dies kann nur durch behördliche Tätigkeit, durch eine Abschiebung erreicht werden. Bei den derzeitigen Fallzahlen der Abschiebungen (nach Medienberichten im Jahr 2023 in NRW knapp 3.700) ist nicht erkennbar, dass durch die Beschleunigung der asylgerichtlichen Verfahren (ca. 20.000 Verfahren pro Jahr) insgesamt mehr Aufenthaltsbeendigungen erreicht würden. Diese Zahlen lassen bereits erkennen, dass die alleinige Konzentrierung auf die Verwaltungsgerichte an der Sache vorbeigeht.
Die Verwaltungsgerichte sind die rechtsstaatliche Kontrollinstanz in unserem Asylrechtssystem. Schnellere verwaltungsgerichtliche Asylverfahren sind nicht hinreichende Bedingung für eine Steigerung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.
3. Einzelheiten
Zu den einzelnen Regelungen des Verordnungsentwurfs wird wie folgt Stellung genommen:
- Der Begriff der „Streitigkeiten nach dem Asylgesetz“ in § 1 Abs. 1 der Verordnung sollte überprüft werden. Der entsprechende Begriff in § 80 AsylG wird weit ausgelegt und ist bereits dann einschlägig, wenn Normen des Asylgesetzes streitentscheidend sind (vgl. zu § 52 VwGO BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2024 – 1 AV 1.23 –, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.). Auch beispielsweise die Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung nach § 63 Abs. 3 AsylG, die durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde erfolgen kann, Anordnungen der räumlichen Beschränkung (§ 59b AsylG) oder Streitigkeiten, die die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 61 AufenthG zum Gegenstand haben, dürften unter diesen Begriff fallen. Dass dies beabsichtigt ist, dürfte zweifelhaft sein.
- Mit Blick auf § 1 Abs. 2 der Verordnung dürfte sich im Fall, dass ein Kläger mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt und eine Verfolgung durch mehrere Staaten befürchtet, die Frage stellen, welches Gericht zuständig ist.
- Es wird angeregt, zu prüfen, eine Regelung für Fälle zu schaffen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung zwar anhängig sind, denen aber bereits so weit Fortgang gegeben wurde, dass ein Übergang ineffizient wäre (etwa wenn bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat).
- Mit Blick auf die Verkündung ist den Verwaltungsgerichten genügend Zeit für praktische Umsetzungsmaßnahmen zu lassen (vgl. § 11 der Verordnung).
Mit freundlichen Grüßen
Nadeschda Wilkitzki