Asylgerichtsverfahren dauern in Nordrhein-Westfalen viel zu lange: Justizminister Limbach muss endlich die organisatorischen Voraussetzungen für deutlich kürzere Verfahrensdauern schaffen!
Antrag der Fraktion FDP, Drucksache 18/7758
Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses am 17. September 2024
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Verwaltungsrichtervereinigung NRW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Zu dem o.g. Antrag nehmen wir wie folgt Stellung:
Wir begrüßen den Antrag der Fraktion FDP dem Grunde nach und unterstützen das dahinterstehende Anliegen, eine kürzere Verfahrensdauer in asylrechtlichen Gerichtsverfahren zu erreichen.
1. Hohe Eingangszahlen bei schwieriger Ausgangssituation
Zuzustimmen ist der hinter dem Antrag stehenden Zielsetzung, Asylverfahren vor dem Hintergrund der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zügiger zum Abschluss zu bringen. Die gerichtlichen Laufzeiten in Asylsachen sind auch für die Kolleginnen und Kollegen u.a. mit Blick auf die weite Spreizung zwischen den Gerichten unbefriedigend, wenn sich auch schon eine Entwicklung in die richtige Richtung bemerkbar macht: Nach einem Höchststand der Verfahrenslaufzeiten in Asylsachen von 24,7 Monaten im Jahr 2021 sank der Wert auf 21,9 Monate im Jahr 2022 und auf 17,6 Monate im Jahr 2023. Zum ersten Halbjahr 2024 liegt die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit bei 16,4 Monaten. Da hier die erledigten Verfahren berücksichtigt werden, ist zu konstatieren, dass eine hohe durchschnittliche Zahl auch immer bedeutet, dass die älteren Verfahren zum Abschluss gebracht wurden, was zu begrüßen ist. Die Kolleginnen und Kollegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben in den letzten Jahren einen enormen Arbeitseinsatz erbracht, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Der berechtigte Wunsch nach kürzeren Verfahrenslaufzeiten sieht sich einer schwierigen Ausgangssituation gegenübergestellt: Hohe Eingangszahlen treffen auf einen hohen Anhang mit einem großen Anteil überjähriger Verfahren. Die Eingangszahlen erstinstanzlicher asylgerichtlicher Verfahren sind bereits jetzt auf hohem Niveau stabil. Personalaufstockungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könnten diese noch erhöhen. Während aber im Jahr 2015 vor der ersten Asylwelle nur rund 7.600 Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten anhängig waren, liegt die Zahl nach einem Höchststand von über 80.000 Verfahren im Jahr 2017 Ende des Jahres 2023 sowie für das zweite Quartal 2024 noch bei rund 17.900 Verfahren.
2. Bereits getroffene und noch notwendige Maßnahmen
Zum 1. August 2024 ist die Verordnung über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz in Kraft getreten (vgl. hierzu auch die Stellungnahme auf unserer Homepage), mit der eine Konzentration der Asylverfahren aus eingangsschwachen Herkunftsländern bei bestimmten Gerichten erfolgt ist. Die Verordnung ist grundsätzlich geeignet, durch Erzielung von Synergieeffekten (z.B. Erforderlichkeit von Erkenntnismittellisten nicht an jedem Gericht für jedes Herkunftsland) mittelfristig eine gewisse Beschleunigung zu bewirken. Es ist zu begrüßen, dass sich die Konzentration auf die eingangsschwachen Herkunftsländer beschränkt. Eine weitergehende Konzentration ginge mit erheblichen Reibungsverlusten einher und führte aufgrund der hohen Fallzahlen im großen Flächenland Nordrhein-Westfalen nicht zu einer nennenswerten weiteren Spezialisierung. Das vom Antrag verfolgte Ziel, dafür Sorge zu tragen, dass innerhalb der Verwaltungsgerichte die Geschäftsverteilung der jeweiligen Kammern nach Herkunftsländern organisiert ist (letzter Punkt), dürfte sich durch Maßnahmen des Justizministers – z. B. im Rahmen von § 83 Abs. 3 AsylG – nicht erreichen lassen. Innerhalb der Gerichte obliegt die Geschäftsverteilung den Präsidien. Darüber hinaus entspricht diese Organisation bereits der geübten Praxis.
Neben diese organisatorischen müssen aber insbesondere vor dem Hintergrund des noch nicht abgewendeten Stellenabbaus personelle Maßnahmen treten. In einem ersten Schritt bedarf es zwingend des Verzichts auf den Abbau an Richterstellen, der für ein Achtel des verwaltungsrichterlichen Personalkörpers derzeit noch droht. Es liegt auf der Hand, dass (ca. ein Achtel = Anzahl der anstehenden wegfallenden Stellen) weniger Richterinnen und Richter nicht mehr Verfahren (steigende Eingangszahlen in Asylsachen) – und dann auch noch schneller – erledigen können. Zum Zweiten kann eine spürbare Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten nur durch eine Aufstockung des Personals im richterlichen wie auch im Servicebereich eintreten. Jede etwaige Beschleunigung der Asylverfahren ginge ohne Personalaufstockung zu Lasten der Verfahren in anderen Rechtsgebieten. Die Notwendigkeit erheblicher Personalaufstockung ist in anderen Ländern erkannt worden und zeigt auch das immer wieder angestrengte Beispiel Rheinland-Pfalz. Die dortigen Verfahrenslaufzeiten dürften ganz wesentlich auf die erhebliche Personalaufstockung gründen, die nicht unmittelbar nach der Abnahme der Asyleingänge rückgängig gemacht wurde. Dies hat es ermöglicht, den in Hochzeiten der Asyleingänge kumulierten Bestand abzubauen. Auch Niedersachsen geht mit gutem Beispiel voran und hat 15 neue Stellen geschaffen. Auf Nordrhein-Westfalen übertragen bedeutete dies eine Schaffung von ca. (neuer, zusätzlicher) 35 Stellen.
Zu Recht greift der Antrag schließlich die Frage der Vollziehung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen auf: Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass den Verwaltungsgerichten die alleinige Verantwortung für die zügige Durchführung von Asylverfahren zukommt. Die politische und öffentliche Diskussion lässt an vielerlei Stelle eine hinreichende Differenzierung vermissen. Die Verwaltungsgerichte erfüllen ihre Aufgabe als Teil der Rechtsprechung innerhalb des Systems der Gewaltenteilung, das verschiedene Verantwortlichkeiten zuweist. An erster Stelle entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über die Asylanträge der Antragsteller. Die Bescheide des Bundesamtes sind dann Gegenstand gerichtlicher Kontrolle. Der von den Verwaltungsgerichten zu leistende Arbeitsaufwand wird von der Qualität der behördlichen Entscheidung, aber ggf. auch von der Mitwirkung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge während des gerichtlichen Verfahrens maßgeblich mit beeinflusst. Nach Entscheidung der Kolleginnen und Kollegen in den Verwaltungsgerichten erfolgt die Vollstreckung bei für den Asylbewerber negativem Ausgang im Wege der Abschiebung durch die Ausländerbehörden. So ist beispielweise in Fällen, in denen ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (insbesondere bei sicheren Herkunftsstaaten) und ein Eilantrag vom Verwaltungsgericht – üblicherweise innerhalb kürzester Zeit – abgelehnt wurde, eine Abschiebung möglich, ohne dass es hierzu eines Urteils im Hauptsacheverfahren bedürfte. In Fällen, in denen – insbesondere bei Ländern mit hohen Schutzquoten – bereits eine Teilanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt ist, findet eine Abschiebung ohnehin nicht statt, so dass auch ein beschleunigtes verwaltungsgerichtliches Verfahren nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führte. In allen Fällen gilt: Die verwaltungsgerichtliche Abweisung eines asylrechtlichen Klagebegehrens führt nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung. Diese kann nur durch behördliche Tätigkeit, durch eine Abschiebung erreicht werden. Bei den derzeitigen Fallzahlen der Abschiebungen (nach Medienberichten im Jahr 2023 in NRW knapp 3.700) ist nicht erkennbar, dass durch die Beschleunigung der asylgerichtlichen Verfahren (ca. 20.000 Verfahren pro Jahr) insgesamt mehr Aufenthaltsbeendigungen erreicht würden. Diese Zahlen lassen bereits erkennen, dass die alleinige Konzentrierung auf die Verwaltungsgerichte an der Sache vorbeigeht.
Mit freundlichen Grüßen
Nadeschda Wilkitzki