Stellungnahme der Vereinigung zu den Besoldungsanpassungsgesetzen 2022

Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Corona-Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie für das Land Nordrhein-Westfalen und zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes (Drucksache 17/16322)

Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2022 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen (Drucksache 17/16323)

Gesetz zur Anpassung der Alimentation von Familien sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/16324)


Zur PDF-Version


Sehr geehrte Damen und Herren, zu den oben genannten Gesetzentwürfen nehmen wir im Rahmen der Sachverständigenanhörung des Haushalts- und Finanzausschusses Stellung:

Festzustellen ist zunächst, dass die Gesetzentwürfe in der Gesamtschau - vor allem aber der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Alimentation von Familien - für Richterinnen und Richter und Beamtinnen und Beamte mit Familien zu einer deutlichen Erhöhung der Besoldung führt. Die Gesetzentwürfe sehen insoweit die Bereitstellung von Haushaltsmitteln in erheblichem Umfang vor. Dies ist ein richtiges und gutes Signal für den öffentlichen Dienst. Uneingeschränkt zu begrüßen ist zudem, dass die Kostendämpfungspauschale ersatzlos gestrichen werden soll. Die Landesregierung vollzieht damit einen wichtigen und überfälligen Schritt.

Trotz dieser begrüßenswerten Maßnahmen besteht auch Anlass zur Kritik. Angesichts der kurzen Frist beschränkt sich die Stellungnahme auf wesentliche Kritikpunkte:

 

Gesetzentwurf zur Gewährung einer einmaligen Corona-Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie und Gesetzentwurf zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2022

Mit den Gesetzentwürfen werden die Ergebnisse der Tarifeinigung umgesetzt. Die 1 : 1-Umsetzung der Tarifergebnisse ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist auch die im Anschluss an die Besoldungsgespräche von den Spitzenverbänden bereits geäußerte Kritik an dem Tarifergebnis zu wiederholen und zu bekräftigen:

Es wäre wünschenswert und auch erforderlich gewesen, die Besoldung und Versorgung rückwirkend zum 1. Oktober 2021 zu erhöhen. Die faktische Nullrunde für den 14-monatigen Zeitraum vom Auslaufen des Tarifvertrags bis zur Besoldungserhöhung zum 1. Dezember 2022 führt - besonders angesichts der wohl nicht nur kurzfristig erhöhten Inflation - zu deutlichen Kaufkraftverlusten. Die Besoldungserhöhung zum 1. Dezember 2022 wird auf dem derzeitigen Besoldungsniveau aufsetzen, was sich auf alle künftigen Steigerungen auswirkt. Dies kann durch die Corona-Sonderzahlung nicht aufgefangen werden. Hinzu kommt, dass Versorgungsempfänger keine Sonderzahlung erhalten und der Stichtag für die Corona-Sonderzahlung (29. November 2021) nicht sachgerecht und willkürlich erscheint.

An Stelle einer Einmalzahlung wäre eine effektive und angesichts der Inflation spürbare prozentuale Besoldungserhöhung rückwirkend zum 1. Oktober 2021 der richtige Schritt.

 

Gesetzentwurf zur Anpassung der Alimentation von Familien sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Mit dem Gesetzentwurf sollen die verfassungsgerichtlichen Vorgaben für eine amtsangemessene Alimentation, insbesondere die Maßgaben des Urteils vom 4. Mai 2020 (2 BvL 4/18) zum Berliner Besoldungsgesetz, vollständig umgesetzt werden. Im Kern sieht der Gesetzentwurf vor, die bisherige, verfassungswidrige „Unterdeckung“ durch eine deutliche und vom Wohnsitz abhängige Erhöhung des Familienzuschlags zu korrigieren. Der Familienzuschlag soll dabei weiter weitgehend unabhängig von der Besoldungsgruppe gewährt werden. Dieser fällt in den oberen Besoldungsgruppen teilweise sogar (geringfügig) niedriger aus. Eine Erhöhung der Grundgehaltssätze findet nicht statt.

Gegen dieses Regelungsmodell bestehen - unabhängig von einer hier nicht zu vertiefenden verfassungsrechtlichen Bewertung - Bedenken.

Es widerspricht dem Grundprinzip einer amtsangemessenen Besoldung, die Verfassungsmäßigkeit allein durch eine Erhöhung der von den Besoldungsgruppen abgekoppelten Familienzuschläge zu erhöhen. Durch das vorgesehene Regelungsmodell

  • wird die Wertigkeit der Ämter nicht mehr ausreichend im System abgebildet;
  • entstehen Verzerrungen im Besoldungssystem, weil die Zuschläge zu starkes und die Ämterwertigkeit zu geringes Gewicht besitzen;
  • werden Fehlanreize in Kauf genommen.

Die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Besoldung sollte daher auch dadurch hergestellt werden, dass die Grundbesoldung erhöht wird. Soweit dies nicht geschieht, müsste jedenfalls die Ämterwertigkeit in den Familienzuschlägen abgebildet werden. Im Einzelnen:

I.

Die vorgesehenen Regelungen ebnen die Ämterwertigkeit ein. Die Wertigkeit der Ämter wird nicht mehr ausreichend abgebildet. Die ausschließliche Fokussierung auf den Familienzuschlag ist problematisch. Denn nur die Grundbesoldung steigt mit der Wertigkeit der Ämter von A 5 bis B 11 bzw. R 1 bis R 10. Der Familienzuschlag bleibt für alle Besoldungsgruppen über alle Erfahrungsstufen im Wesentlichen gleich hoch. Er steigt weder mit der Beförderung noch mit zunehmender Erfahrung an. Dies kann hinnehmbar sein, solange der Familienzuschlag nur einen kleinen Teil der Gesamtbesoldung ausmacht. Der Gesetzentwurf macht ihn aber zu einem wesentlichen Besoldungsbestandteil. Bei drei Kindern kann er mehr als 60 Prozent der Grundbesoldung betragen (A 5, Stufe 3). Ein so großer Besoldungsanteil, der die Ämterwertigkeit unberücksichtigt lässt, wirft Fragen der Amtsangemessenheit auf, die verfassungsrechtlich geboten ist. Nach dem Bundesverfassungsgericht soll mit der Anknüpfung der Alimentation an innerdienstliche, unmittelbar amtsbezogene Kriterien wie den Dienstrang sichergestellt werden, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind. Gleichzeitig kommt darin zum Ausdruck, dass jedem Amt eine Wertigkeit immanent ist, die sich in der Besoldungshöhe widerspiegeln muss. Die Wertigkeit wird insbesondere durch die Verantwortung des Amtes und die Inanspruchnahme des Amtsinhabers bestimmt. Die „amts“-angemessene Besoldung ist notwendigerweise eine abgestufte Besoldung. Die Organisation der öffentlichen Verwaltung stellt typisierend darauf ab, dass in den höher besoldeten Ämtern die für den Dienstherrn „wertvolleren“ Leistungen erbracht werden. Deshalb muss im Hinblick auf das Leistungs- und das Laufbahnprinzip mit der organisationsrechtlichen Gliederung der Ämter eine Staffelung der Gehälter einhergehen. Der Grundsatz, dass die Besoldungshöhe der Wertigkeit des Amtes entsprechen muss, bedeutet zugleich, dass eine höhere Besoldung (im Grundsatz) nur gewährt werden darf, wenn der Beamte ein höheres Amt bekleidet, also befördert wird. Die erhebliche und alleinige Erhöhung des Familienzuschlags, der zudem ortsgebunden ist, läuft diesem Grundsatz zuwider. Der Beamte kann nunmehr seine Besoldung nicht nur durch eine leistungsabhängige Beförderung, sondern durch private Lebensentscheidungen deutlich erhöhen. Wenn er vom Umland in die Großstadt umzieht oder Kinder hat, steigt seine Besoldung viel stärker an als bei einer Beförderung.

II.

Die vorgesehenen Regelungen führen zu Verzerrungen im Besoldungsgefüge. Je höher die Besoldungsgruppe und damit die Ämterwertigkeit ist, umso mehr sinkt die Erhöhungswirkung eines einheitlichen Familienzuschlags. Zur Verdeutlichung: Die vierköpfige „Beamten-Eck-Familie“ erhielt bis 2021 einen Familienzuschlag in Höhe von 401 EUR. Nach dem Entwurf wird dieser - etwa in Köln - auf 929,53 EUR mehr als verdoppelt. Ein A 9-Beamter (Stufe 3) erhöht seine Grundbesoldung mit zwei Kindern um 31 Prozent, mit drei Kindern sogar um 60 Prozent. Ein Beamter der Besoldungs-gruppe A 16 oder ein R 2-Richter erhöht seine Grundbesoldung mit zwei und drei Kindern aber lediglich um 12 bzw. 23 Prozent. Bei A 16 bzw. R 2 verliert der Familienzuschlag rund zwei Drittel seiner Erhöhungswirkung im Vergleich zu A 9. Innerhalb des Besoldungsgefüges führen die kinderbezogenen Familienzuschläge zu Friktionen: Ein Beamter im Eingangsamt des bisherigen gehobenen Dienstes, A 9, Stufe 3, mit drei Kindern erhält eine Besoldung in Höhe von 4.815 EUR. Das entspricht nahezu dem Grundgehalt eines alleinstehenden Beamten A 14, Stufe 5, von 4.872 EUR, also dem ersten Beförderungsamt im bisherigen höheren Dienst. Im Vergleich zum alleinstehenden Beamten kann der A 9-Beamte mit drei Kindern in seinem Gehalt fünf Besoldungsgruppen „höherspringen“. Auch innerhalb der eigenen Besoldungsgruppe führt der stark erhöhte Familienzuschlag zu Verwerfungen. So erhalten in A 9 mit 27 Jahren neu eingestellte Beamtinnen und Beamte mit zwei Kindern dieselbe Besoldung wie ein erfahrener, aber alleinstehender Kollege derselben Besoldungsgruppe nach 24 Dienstjahren. Die Ortsgebundenheit des Familienzuschlags führt weiterhin dazu, dass der Beamte mit einem oder zwei Kindern ein höheres Gehalt für dieselbe Tätigkeit bezieht, wenn er vom preisgünstigeren Umland in die „teure“ Stadt umzieht. Der Unterschied kann nach der Tabelle des Entwurfs zum Familienzuschlag bei einem Kind bis zu 555 EUR im Monat (6.660 EUR im Jahr) betragen. Zieht dagegen ein verheirateter (oder unverheirateter) Beamter ohne Kinder gleichermaßen um, erhält er keine Besoldungserhöhung.

III.

Die derzeit vorgesehene Regelung führt zu Fehlanreizen. Das Ziel der Nachwuchsgewinnung wird nicht ausreichend berücksichtigt. Für die in den meisten Fällen noch unverheirateten und kinderlosen Neueinsteiger bleibt die Eingangsbesoldung auf dem bisherigen Niveau. Wenn die Justiz im Wettbewerb mit Anwaltskanzleien und Unternehmen weiter die besten Juristinnen und Juristen gewinnen will, muss gerade auch hier eine Erhöhung stattfinden. Die Regionalisierung der Familienzuschläge ist zwar vom Bundesverfassungsgericht als grundsätzlich gangbarer Weg akzeptiert worden. Die Einführung regionalisierter Zuschläge führt jedoch dazu, dass es Gerichte, Behörden und Schulen außerhalb von Ballungszentren noch schwerer haben werden, gutes Personal zu gewinnen und dauerhaft zu binden.

IV.

Es bleibt fraglich, ob die Höhe der Wohnkosten durch die Orientierung an den Wohngeldsätzen (WoGG) „realitätsgerecht“ erfasst ist. Damit ist zugleich fraglich, ob das Mindestabstandsgebot eingehalten wird.   Das Bundesverfassungsgericht gibt vor, dass das Besoldungsminimum 15 Prozent über der Grundsicherung nach SGB II liegen muss (Mindestabstandsgebot). Ausdrücklich verlangt das höchste deutsche Gericht, dass die Grundsicherungsleistungen und damit auch die Wohnkosten „realitätsgerecht“ angesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht legt hierfür die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit über die tatsächlich gewährte Grundsicherung zugrunde. Diese Statistiken sind für jedermann im Internet abrufbar. Die Bundesagentur erstellt sie allmonatlich für jede Stadt und jeden Landkreis. Sie enthalten u. a. alle Wohnkosten, d. h. Miete, Bedienung einer Hypothek bei Eigentum, Heizkosten, Betriebskosten und Einmalkosten wie Umzugskosten, Courtage, Kaution, Instandhaltungs- und Reparaturkosten. Der Gesetzentwurf stellt dagegen nur auf den Heizkostenspiegel und die anrechenbaren Wohnkosten nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) ab. Solche fiktiven Höchstwerte sind aber nicht „realitätsgerecht“ im zuvor genannten Sinne. Außerdem erfasst der Gesetzentwurf zahlreiche SGB II-Leistungspositionen (u. a. Einmalkosten wie Umzugskosten, Courtage, Kaution, Instandhaltungs- und Reparaturkosten) nicht. Der Entwurf setzt damit (spürbar) geringere Kosten der Unterkunft an, als die Grundsicherungsempfänger tatsächlich erhalten.

V.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Gesetzentwurf führt zu deutlichen Verbesserungen für Familien. Dies ist ebenso wie die Streichung der Kosten-dämpfungspauschale zu befürworten. Dagegen berücksichtigt der Gesetzentwurf die Wertigkeit der Ämter nicht ausreichend. Auch ist die starre Orientierung an den Wohngeldsätzen nicht sachgerecht. Es erscheint daher insgesamt fraglich, ob der Gesetzentwurf das selbst gesetzte Ziel erreicht, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vollständig umzusetzen. Hier muss weiter nachgebessert werden.  

 

Mit freundlichen Grüßen

Martin Hollands

uncode-pla­ce­hol­der