Stellungnahme der Vereinigung zum Gesetz zur Anpassung der Alimentation kinderreicher Familien sowie zur
Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften


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Sehr geehrte Damen und Herren,

die Verwaltungsrichtervereinigung NRW nimmt zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung:

Die Vereinigung begrüßt ausdrücklich die Erhöhung der Familienzuschläge ab dem dritten Kind. Dies ist ein wichtiger - erster - Schritt, um die festgestellte Verfassungswidrigkeit der Besoldung zu korrigieren. Sie trägt mit dazu bei, die Attraktivität und Familienfreundlichkeit des öffentlichen Dienstes zu erhöhen.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ist die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur der Besoldung aber erst eingeleitet. Es müssen weitere Schritte folgen. Dabei müssen zwei zentrale Punkte im Blick bleiben:

  • Die Gesamtbesoldung (Grundgehalt und Zuschläge) ist - nach Maßgabe der Entscheidung zur Berliner Besoldung - insgesamt neu zu regeln.
  • Die Alimentation muss sich weiter maßgeblich an der Ämterwertigkeit ausrichten und diese abbilden.

Die Vereinigung versteht den derzeitigen Gesetzentwurf vor diesem Hintergrund nur als einen „Abschlag“ bis zu einer vollständig verfassungskonformen und in sich stimmigen Korrektur der Besoldung. Der Gesetzentwurf dürfte in diesem Sinne nur als „vorläufige“ Regelung zu sehen sein, um den zeitlichen Vorgaben des Bundes- verfassungsgerichts zu entsprechen. Eine abschließende Bewertung ist daher noch nicht möglich. Auf folgende, wesentliche Punkte ist aus Sicht der Vereinigung aber schon jetzt hinzuweisen:

Die verfassungskonforme Besoldung muss auch rückwirkend vollständig hergestellt werden. Eine Gleichbehandlung aller Anspruchsinhaber ist geboten.

Die verfassungsrechtlich gebotene Erhöhung der Familienzuschläge muss auch für die Vergangenheit bis 2020 allen Kolleginnen und Kollegen zugutekommen, die die materiellen Voraussetzungen erfüllen. Diese Gleichbehandlung ist ein Gebot der Fairness und Wertschätzung. Das Verhältnis des Landes zu seinen Beamten und Richtern ist durch - wechselseitige - Treuepflichten bestimmt. Die Gewährung der verfassungsmäßig gebotenen Besoldung darf vor diesem Hintergrund nicht davon abhängen, dass bestimmte Rechte von den Anspruchsinhabern formal reklamiert worden sind.

Die Landesregierung ist an einer solchen Gleichbehandlung im Übrigen weder durch die Verfassung noch durch Landesrecht gehindert. Mit der Rechtsprechung zur zeitnahen Geltendmachung hat das Bundesverfassungsgericht lediglich festgestellt, dass eine Nachzahlung ohne zeitnahen „Besoldungswiderspruch“ verfassungsrechtlich nicht erzwungen werden kann. Der Landesgesetzgeber bleibt aber frei, aus Gründen der Fairness und als Ausdruck wechselseitiger Treuepflichten, den verfassungsgemäßen Zustand rückwirkend für alle Anspruchsinhaber herzustellen. Das zeigen nicht zuletzt die Gleichbehandlungszusagen verschiedener Länder. Mit der Regelung in § 3 Absatz 7 LBesG hat der Landesgesetzgeber lediglich diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Die Gesetzesbegründung ist hierzu deutlich (LT-Drs. 16/10380, S. 360):

„Die Regelung schreibt das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung von übergesetzlichen Besoldungsansprüchen fest. Die Bestimmung wird in der Praxis bereits seit längerem aufgrund der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ang- ewendet. Die Regelung hat klarstellenden Charakter und wird aus Gründen der Transparenz in das Gesetz aufgenommen.“ [Hervorhebung dies.]

Die Regelung in § 3 Absatz 7 LBesG enthält damit das Gebot der zeitnahen Geltendmachung, nicht aber ein Verbot rückwirkender Gleichbehandlung.

Die Alimentation muss die Wertigkeit der Ämter abbilden. Die abgestufte Besoldung muss Kernmerkmal der Besoldung bleiben.

Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sein müssen. Die amtsangemessene Besoldung ist notwendigerweise eine abgestufte Besoldung. Dieser Grundsatz wird durch eine gesetzliche Regelung missachtet, bei der die gestufte - maßgeblich durch die Grundgehaltssätze bestimmte - Besoldung durch weitgehend von den Besoldungsgruppen gelöste Zuschläge überlagert wird. Der Landes- gesetzgeber muss daher schon aus verfassungsrechtlichen Gründen vermeiden,

  • dass ungestufte Bestandteile (hier Familienzuschläge) einen wesentlichen Anteil der Besoldung ausmachen und/oder
  • dass die Ämterwertigkeit durch in den oberen Besoldungsgruppen verringerte Zuschläge sogar auf den Kopf gestellt wird.

Mit dem derzeitigen Gesetzentwurf wird die abgestufte Ämterwertigkeit jedenfalls in Frage gestellt. Die erhöhten Familienzuschläge werden „pauschal“, unabhängig von der Ämterwertigkeit gewährt und in den oberen Besoldungsgruppen sogar leicht verringert. Der Landesgesetzgeber wird daher spätestens mit dem nächsten Besoldungsgesetz zur Umsetzung der Berliner Entscheidung gegensteuern müssen. Dabei sind die Grundgehaltssätze in allen Besoldungsstufen nach der Ämterwertigkeit anzuheben.

Hierfür sprechen nicht nur verfassungsrechtliche Gründe. Eine Besoldung muss Leistungsanreize setzen: Die Besoldungssprünge müssen im Wesentlichen durch Leistung und eine daraus folgende Beförderung verdient werden. Die Nachwuchsgewinnung muss im Blick bleiben. Die Eingangsbesoldung für in der Regel noch unverheiratete und kinderlose Berufseinsteiger muss attraktiv bleiben. Die Besoldung darf auch aus diesem Grund nicht zu stark auf die in der Regel erst später eingreifenden Familienzuschläge verlagert werden.

Die Kostendämpfungspauschale hat mit der Anrechnung bei der Nettoalimentation jeden Mehrwert verloren. Sie muss abgeschafft werden.

Die Kostendämpfungspauschale ist mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden, hat nach dem Wegfall der Praxisgebühr ihre sachliche Rechtfertigung verloren und wird von den Kolleginnen und Kollegen als Ausdruck fehlender Wertschätzung empfunden. Die Abschaffung der Kostendämpfungspauschale wird von der Vereinigung daher seit langem gefordert. Durch den jetzt vorzunehmenden Abzug bei der Berechnung der Nettoalimentation hat die Kostendämpfungspauschale allerdings - selbst aus Sicht des Haushaltsgesetzgebers - jeden Mehrwert verloren. Der Gesetzentwurf bringt bei der Berechnung der Jahresnettoalimentation die Kostendämpfungspauschale zu Recht in Abzug. Die Kostendämpfungspauschale stellt einen Eigenanteil der Richterinnen und Richter an den Krankheitskosten dar und ist eine reale Besoldungskürzung. Durch die Anrechnung müssen einbehaltene Beihilfezahlungen nun auf dem Umweg der Zuschläge teilweise wieder zurückgereicht werden. Das „Hin- und Rückrechnen“ von einbehaltenen Beihilfeleistungen ist aufwändig, intransparent und nicht gerechtfertigt. Der Haushaltsgesetzgeber sollte die gebotene verfassungsrechtliche Korrektur daher zum Anlass nehmen, die Kostendämpfungspauschale vollständig zu streichen.

Einhaltung der prozeduralen Anforderungen in der Gesetzesbegründung. Vollständig nachvollziehbare Berechnung der Besoldung.

Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Besoldungsgesetzgeber in ständiger Rechtsprechung auf, die Fortschreibung der Besoldungshöhe nachvollziehbar zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungsfähigen Bestimmungsfaktoren müssen sich in einer Darlegung und Begründung niederschlagen. Diesen Anforderungen wird der Gesetzentwurf jedenfalls nicht voll- ständig gerecht. Insbesondere verzichtet die Gesetzesbegründung darauf, die im Einzelnen zugrunde gelegten Zahlen offen zu legen. Damit ist eine vollständige Nach- vollziehung und Prüfung der Berechnung nicht möglich. Die Gesetzesbegründung muss die wesentlichen Zahlenwerke aufführen, auf denen die Berechnungen beruhen.

Rechtsklarheit für Nachzahlungen und laufende Besoldungswidersprüche

Wie zuvor ausgeführt, müssen die Nachzahlungen bis 2020 allen Anspruchsinhabern unabhängig von etwaigen Besoldungswidersprüchen zugutekommen.

Soweit die Nachzahlungen nach Artikel 1 (§ 2 Absatz 1 Satz 2) des Gesetzentwurfs gleichwohl auf die Fälle der zeitnahen Geltendmachung beschränkt werden, versteht die Vereinigung den Gesetzentwurf dahin, dass es für die Geltendmachung (selbstverständlich) genügt, dass überhaupt ein Antrag gestellt worden ist, mit dem eine unzureichende Alimentation geltend gemacht worden ist. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Antragsteller sich bei der Geltendmachung ausdrücklich auf eine unzureichende Besoldung für das dritte Kind und weitere Kinder berufen haben. Um insoweit Klarheit herzustellen, sollten in Artikel 1 § 2 Absatz 1 Satz 2 die Wörter „auf Besoldung für das dritte Kind und weitere Kinder“ vorsorglich gestrichen werden. Der Zusatz ist überflüssig und irreführend, da es ausreicht, dass ein Anspruch auf amtsangemessene Besoldung i. S. v. § 3 Absatz 7 LBesG NRW überhaupt gestellt worden ist.

Im Hinblick auf die offenen Besoldungswidersprüche sollte die Landesregierung - ggf. außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens - zudem im Hinblick auf die zu erwartenden Nachzahlungen für Rechtsklarheit sorgen, um weitere Widersprüche zu vermeiden. Die auf der Grundlage des Gesetzes zu erwartenden (Teil-)Nachzahlungen für das dritte Kind und für weitere Kinder werden in aller Regel nicht zur Erledigung der Besoldungswidersprüche führen. Diese sind regelmäßig insgesamt auf die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation gerichtet. Insoweit wird angeregt, dass der Minister der Finanzen durch ein begleitendes Schreiben gegenüber den Verbänden klarstellt, dass von einer Erledigung der offenen Widersprüche durch die Nachzahlung für kinderreiche Familien nicht ausgegangen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Hollands

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